Achtung: An dieser Stelle geht es um die Quellenlage zur Praxis des Fatschens. Mit der medizinischen und moralischen Diskussion, die darum seit der Aufklärung tobte, setze ich mich an anderer Stelle auseinander.

Das Fatschenkindl oder Wickelkind:
Die Säuglingskleidung des frühen 18. Jahrhunderts

gefatschter (oder heute “gepuckter”) Säugling,
friedlich schlafend in einem Weidenkorb

Mit einigem Suchen findet man in Museen und Sammlungen erhaltene Säuglingskleidung aus dem 18. Jahrhundert. Erhalten sind uns winzige Hemdchen aus Leinen, gestrickte Jäckchen aus Leinen oder Baumwolle, Fatschenbänder und -decken, dazu gesteppte Jäckchen und Steckkissen, kleine Hauben und kunstvoll bestickte Überhauben, kostbar gearbeitete lange Tragekleider, und erbärmlich kleine Korsetts. Oftmals ist die genauere Datierung schwierig, da Säuglingskleidung überwiegend keine auffälligen Modemerkmale aufweist, und zu erraten, was wann und wie von wem getragen wurde, fällt ohne weitere Hinweise schwer.

Textquellen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erwähnen Hemdchen, Mieder und Unterröcke, verschiedene Hauben, dazu Windeln und Decken, Fatschbänder, Tageskleider und Nachtkleider. Außerdem geben sie manchmal versteckte Hinweise darauf, wie die Sachen getragen wurden, ebenso wie Darstellungen von Neugeborenen und Säuglingen auf Familienportraits und anderen Bildern.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war es in ganz Europa üblich, einen Säugling zu fatschen, ihn also in eine Decke einzuwickeln und dann fest mit Bändern zu umwinden. Vermutlich stammt daher auch unser heutiges Wort “Windel”, das eindeutig auf den Wortstamm “winden” zurückgeht, und sich damit eigentlich nicht primär auf den Auffänger von Kot und Urin bezieht, sondern vielmehr auf die Bänder, mit denen das ganze Paket zusammengehalten wurde.

Klassische Beispiele für solchermaßen “gewickelte”, also gefatschte Kinder sind die kostbar verzierten Fatschenkindln aus Wachs, Adorationsbildnisse des Jesuskindes, die im österreichischen und bayrischen Raum in Kirchen, Klöstern und Museen zu finden sind.

Das Wort “fatschen” selbst leitet sich vermutlich von dem lateinsichen Wort “fasces” her, das ein (Ruten-)Bündel bezeichnet, und wahrscheinlich über die Alpen aus Italien in den deutschen Sprachraum eingewandert ist, so wie es in bayrischen Dialekten einige Lehnwörter aus dem Italienischen gibt (z.B. die Bretzel).

ein Fatschenkindl im Bayrischen Nationalmuseum in München, 18. Jahrhundert

Leinenhemdchen, Wolldecke, Stoffwindel und Socken

Offenbar unerläßliches Stück und Grundlage der Säuglingsbekleidung war über mehr als hundert Jahre unverändert das leinene Hemdchen, vorne offen, und wenn möglich verziert. Möglicherweise alternativ dazu (oder zusätzlich) konnte ein wärmeres gestricktes Jäckchen getragen werden, den gestrickten Säuglingsjäckchen des 20. Jahrhunderst gar nicht unähnlich.

Der Unterkörper des Babies wurde in eine Windel gewickelt, die meist aus abgetragenem Leinen gefertigt wurde, weil es weicher ist und saugfähiger. Verschiedene Überlegungen legen die Vermutung nahe, daß die Windel nicht wie im 19. Jahrhundert zwischen den Beinen durchgeschlungen worden sein könnte, sondern den ganzen Unterkörper samt Beinchen einhüllte. Unter anderem sprechen dafür, daß die Worte “Höschenwindel” und “Windelhöschen” eine spezielle Form darstellen, die extra bezeichnet werden muß, und weiterhin die Tatsache, daß Frauen und Kinder eben bis ins 18. Jahrhundert keine ‘Hosen’ trugen. Dazu kommt, daß die in Textquellen angegebenen Maße für die Windeln gerade bei einem Neugeborenen für die Höschenwickelmethode eigentlich viel zu groß sind. Vorerst bleibt diese Frage offen.

Vorhandene kontemporäre Textquellen liefern auch keinerlei Hinweise darauf, wie das Windeltuch befestigt werden sollte. Spätere Quellen aus dem 19. Jahrhundert erwähnen Stecknadeln als wenig günstige Methode, und bald darauf kamen Sicherheitsnadeln genau für diesen Zweck in Gebrauch. Schlägt man allerdings die ‘ungesicherte’ Windel direkt in das wollene Wickeltuch ein und umschlingt es mit Bändern, entsteht ein festes, einigermaßen auslaufsicheres Paket, denn die für das Tuch vorgeschlagene Wolle bleibt schön warm und außen trocken, auch wenn es in dem Paketlein feucht wird.

Wie das Band genau beschaffen war, und auf welche Weise es um das Windelpaket geschlungen wurde, ist nicht beschrieben, aber von Originalen, aus Bildquellen und von den Fatschenkindeln läßt sich einiges ableiten. Im V&A findet sich ein Original aus Leinen, fein ausgestickt, auch in amerikanischen Museen befinden sich solche Bänder. In München befindet sich eines aus Seide, und die Bänder an verschiedenen Fatschenkindln sind aus Brokat, verziert mit kostbarer Spitze aus Leinen, Seide und Edelmetallen.
Auch die Wickeldecke war nicht immer schlicht und weiß, sie ist ebenfalls bei den Fatschenkindln oft aus kostbaren Materialien gefertigt, und im Münchener Stadtmuseum wird eine aus grüner Seide aufbewahrt, die vermutlich bei einem echten Baby über der Wolldecke zusätzlich angelegt wurde.

Fatschband aus feinem Leinen mit Spitze verziert, in Auszier und Maßen nach dem Original im V&A gearbeitet

Zwei grundlegende Wickelmethoden sind in den Quellen zu unterscheiden: Oben an der Brust beginnend und dann spiralförmig um den Körper nach unten bis zu den Füßen, wo das Bandende mit einer Nadel oder Bindebändern befestigt wurde, oder im Rücken zwischen den Schultern mit der Bandmitte beginnend, und dann sich abwechselnd vorne und hinten überkreuzend nach unten, wo die Bandenden auf den Füßen zu einer Schleife gebunden wurden.

Überwiegend wurden vor allem Neugeborene komplett, d.h. inklusive der Arme, eingefatscht. Dies entspricht der in Amerika mittlerweile wieder weit verbreiteten Praxis des Swaddling, was dort unter anderem zur Beruhigung von Schreikindern angewendet wird. Etwa ab einem Alter von drei bis sechs Monaten wurden dann oft die Arme freigelassen, und dem Kind über dem Hemdchen ein gestepptes Jäckchen angezogen, oder auch über dem Paket, das nun von der Brust bis zu den Füßen reichte, ein prunkvolles, langes Kleidchen, das in seiner Auszier viele Elemente der herrschenden Mode zeigte. Darstellungen des Dauphin von Frankreich vom Beginn des 18. Jahrhunderts legen dies nahe, da man einen Säugling sonst gar nicht so aufrecht halten könnte, wie es seine Amme tut. Mit einem festgeschnürten Bündel geht das aber sehr wohl.
Erhaltene Originale befinden sich z.B. in Hamburg im Museum für Kunst und Gewerbe, und in Colonial Williamsburgh. Sie sind zumeist als Taufkleider bezeichnet. Ob diese Zuordnung ganz korrekt ist, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, sehr wahrscheinlich waren diese Kleider aber für festliche Anlässe vorbehalten, und dazu gehört unzweifelhaft auch die Taufe. Es ist anzunehmen, daß die erhalten winzigen Korsetts unter diesen Kleidern über dem Hemdchen und unter der Wickeldecke getragen wurden, um den Oberkörper für das modische Kleid passend in Form zu bringen, und den Grundstein für eine feine Figur zu legen.

unter einer bestickten Überhaube aus Seide wurde üblicherweise eine leinene Unterhaube getragen, um das kostbare Material zu schonen

Mit der zunehmenden Verbreitung aufklärerischer Ideen gab es immer mehr Opposition gegen das Fatschen, und so kamen zunächst Steckkissen auf, die ähnlich wie in der zweiten Phase des Fatschens anstatt der Decken und Bänder verwendet wurden. Auch sie wurden um das Kind herum festgebunden, saßen aber viel lockerer als die Fatschbänder. Abbildungen dieser Tracht sind aus Frankreich bekannt (1770), ein Original befindet sich in Kopenhagen im Museum.

Ebenfalls zu dieser Zeit verbreitete sich in Englands progressiven Kreisen die Sitte, den Kindern außer mehreren Unterröcken unter den eher locker sitzenden Kleidchen aus waschbaren Stoffen einfach außer der Windel gar nichts mehr anzuziehen.

Vermutlich entwickelte sich auch paralell dazu die Methode, die Windel wie ein Höschen zwischen den Beinchen hindurchzuschlingen. Konsequenterweise gibt ein Buch aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dann auch zwei Windelgrößen an, eine für Neugeborene, und eine für größere Babies.

In den weniger gebildeten Kreisen, vor allem auch auf dem Lande, blieb das Fatschen aber bis weit in das 19. Jahrhundert hinein gängige Praxis, und hielt sich teilweise bis ins 20. Jahrhundert.

Unnötig zu sagen, daß durch all diese Zeiten hindurch, und gleichgültig ob gefatscht oder bekleidet, eine Haube mindestens immer zur vollständigen Kleidung eines Säuglings gehörte.

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Stand der Informationen: 21.2.2009